§ 622 Abs. 2 S. 2 BGB europarechtswidrig wegen Altersdiskriminierung junger Arbeitnehmer EuGH, Urteil vom 19.01.2010 (Az.: C-555/07)
Ausgabe 01 | März 2010
Der EuGH hat die Regelung in § 622 Abs. 2 S. 2 BGB, wonach bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer zur Bestimmung der Kündigungsfrist Zeiten vor Vollendung des 25. Lebensjahres nicht berücksichtigt werden sollen, für europarechtswidrig erachtet. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Arbeitnehmerin war seit ihrem 18. Lebensjahr bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Im Alter von 28 Jahren wurde sie unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat entlassen. Die Arbeitgeberin hatte die Kündigungsfrist gemäß der gesetzlichen Regelung in § 622 BGB unter Zugrundelegung einer Beschäftigungsdauer von nur drei Jahren berechnet, obwohl die Arbeitnehmerin tatsächlich schon seit zehn Jahren bei ihr beschäftigt war. Gemäß § 622 Abs. 2 S. 2 BGB waren jedoch die Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres der Arbeitnehmerin lagen, nicht zu berücksichtigen.
Im Rahmen ihrer Kündigungsschutzklage machte die Arbeitnehmerin geltend, dass diese Regelung eine europarechtlich verbotene Diskriminierung wegen des Alters sei. Die Kündigungsfrist habe aufgrund ihrer tatsächlichen Betriebszugehörigkeit von zehn Jahren vielmehr vier Monate betragen müssen. Das LAG Düsseldorf hat daraufhin dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Regelung in § 622 Abs. 2 S. 2 BGB zur Kündigungsfrist mit dem europäischen Antidiskriminierungsrecht vereinbar sei.
Der EuGH kommt in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass die Regelung des § 622 Abs. 2 S. 2 BGB gegen die Europäische Antidiskriminierungsrichtlinie (2000/78/EG) verstoße. Die Regelung beinhalte eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die ihre Beschäftigung bei dem Arbeitgeber vor Vollendung des 25. Lebensjahres aufgenommen haben, im Vergleich zu solchen, die ihre Tätigkeit dort erst später begonnen haben. Damit würden Personen, die die gleiche Betriebszugehörigkeit haben, unterschiedlich behandelt werden, je nachdem, in welchem Alter sie in den Betrieb eingetreten sind.
Diese Ungleichbehandlung, so der EuGH weiter, sei nicht gerechtfertigt. Zwar sei es als legitim anzusehen, wenn der Arbeitgeber sich von jüngeren Arbeitnehmern leichter trennen können soll als von älteren Arbeitnehmern, da ihnen eine größere berufliche und persönliche Mobilität zugemutet werden könne, die gegebene Altersdiskriminierung könne damit jedoch nicht gerechtfertigt werden. Damit stelle die Regelung des § 622 Abs. 2 S. 2 BGB eine verbotene Diskriminierung wegen des Alters dar und sei von den nationalen Gerichten nicht anzuwenden.
Bei der Berechnung der einschlägigen Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 BGB ist zukünftig daher die gesamte Betriebszugehörigkeit von Bedeutung. Eine Verringerung der Kündigungsfrist bei Arbeitnehmern, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres in den Betrieb eingetreten sind, kommt hingegen nicht mehr in Betracht. Neben der Berechnung der Kündigungsfrist kommt dieser Rechtsprechungsänderung besondere Bedeutung auch im Rahmen von sozialen Auswahlentscheidungen (betriebsbedingte Kündigungen) zu.