Anspruch schwerbehinderter Arbeitnehmer auf Freistellung von Rufbereitschaft
BAG, Urteil vom 27.07.2021 (Az.: 9 AZR 448/20)
Ausgabe 47 | Dezember 2021
Nachdem die Beklagte (Wochenend-)Rufbereitschaft in ihrem Betrieb angeordnet hatte, begehrte der Kläger die
Feststellung, dass er als eine einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Person nicht dazu verpflichtet
sei, an der von der Beklagten angeordneten Rufbereitschaft teilzunehmen.
Arbeitsgericht und LAG hatten die Klage abgewiesen. Das BAG erkannte die Revision des Klägers als teilweise
begündet, den Hauptantrag jedoch als unbegründet und verwies die Sache zurück an das LAG.
Nach der Entscheidung des BAG kann der Kläger aus § 207 SGB IX keinen Anspruch auf generelle Freistellung
von Bereitschaftszeiten herleiten. §207 SGB IX verbiete lediglich die Anordnung von Mehrarbeit gegenüber
Schwerbehinderten und Gleichgestellten gegen deren Wunsch.
„Mehrarbeit“ sei jede über die gesetzliche regelmäßige Arbeitszeit des § 3 S. 1 ArbZG hinausgehende Arbeit.
Diese belaufe sich auf werktäglich acht Stunden, wobei das Arbeitszeitgesetz von einer Sechstagewoche ausgehe.
Die vereinbarte oder tarifliche regelmäßige Arbeitszeit sei insoweit irrelevant. Angesichts seiner 5-Tage-Woche
könne der Kläger zumindest an einem weiteren Tag in der Woche zu einem achtstündigen Bereitschaftsdienst
herangezogen werden, ohne dass es sich um Mehrarbeit im Sinne des SGB IX handele. Anders könne es aber zu
beurteilen sein, wenn der Kläger auch an einem siebten Tag Rufbereitschaft leisten solle.
Die Einteilung des Klägers zu Bereitschaftszeiten am gesamten Wochenende verstieße gegen dessen Anspruch
auf Freistellung von Mehrarbeit, wenn es sich bei den Bereitschaftszeiten insgesamt um Arbeitszeit im Sinne des
Arbeitszeitgesetzes handele. Entsprechendes gelte, wenn der zur Wochenendrufbereitschaft eingesetzte Kläger
typischerweise sowohl samstags als auch sonntags tatsächlich zur Arbeitsleistung abgerufen würde.
Rufbereitschaft sei zumindest dann insgesamt als Arbeitszeit einzustufen, wenn dem Arbeitnehmer Einschränkungen
auferlegt werden, die ihn erheblich darin beeinträchtigen, seine Zeit während der Rufbereitschaft frei zu gestalten
und sich eigenen Interessen zu widmen. Erreichen die Einschränkungen diesen Intensitätsgrad hingegen nicht, stellen
nur die Zeiten der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung Arbeitszeit dar. Maßgebend sei dabei insbesondere,
innerhalb welcher Zeit der Arbeitnehmer verpflichtet ist, seine Arbeit aufzunehmen. Da das LAG hierzu keine
Feststellungen getroffen hatte, verwies das BAG den Rechtsstreit zurück an das LAG.