AUS DER RECHTSPRECHUNG:
Probezeitkündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern
EuGH, Urteil vom 10.02.2022
(Az.: C-485/20 HR Rail)

Ausgabe 48 | März 2022
Der Kläger war bei der Beklagten als Gleisarbeiter beschäftigt. Noch während seiner Probezeit wurde dem Kläger ein Herzschrittmacher implantiert. Da Herzschrittmacher sensibel auf die elektromagnetischen Felder in Gleisanlagen reagieren können, konnte der Kläger nicht mehr als Gleisarbeiter arbeiten, weshalb ihm eine Schwerbehinderung bescheinigt wurde.

Da es dem Kläger auf Dauer unmöglich war, die Arbeiten zu verrichten, für die er eingestellt wurde, kündigte die Beklagte dem Kläger noch in der Probezeit. Der Kläger wehrte sich gerichtlich gegen die Kündigung und machte eine Diskriminierung aufgrund seiner Behinderung geltend. Zur Begründung führte der Kläger aus, dass die in Art. 5 der Richtline 2000/78/EG normierte Pflicht des Arbeitgebers, „angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung“ zu treffen, auch eine Pflicht zur Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz umfasse.

Der EuGH folgte der Ansicht des Klägers. Er stellte klar, dass die Formulierung des Art. 5 der Richtline 2000/78/ EG impliziere, dass Arbeitnehmer, die aufgrund ihrer Behinderung für ungeeignet erklärt werden, die wesentlichen Funktionen ihrer bisherigen Stelle zu erfüllen, auf einer anderen freien Stelle einzusetzen seien, für die sie die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufweisen. Dies gelte auch dann, wenn sich der Schwerbehinderte noch in der Probezeit befinde.

Die Weiterbeschäftigung auf einer anderen Stelle müsse jedoch nur dann ermöglicht werden, wenn der Arbeitgeber hierdurch nicht unverhältnismäßig belastet wird. Ob eine unverhältnismäßige Belastung vorliegt, sei vor allem anhand des finanziellen Aufwands sowie der Größe, der finanziellen Ressourcen und des Gesamtumsatzes der Organisation oder des Unternehmens und der Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln oder anderen Unterstützungsmöglichkeiten zu ermitteln.