Außerordentliche Kündigung eines Hinweisgebers
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11.05.2022
(Az.: 2 Sa 349/21)

Ausgabe 51 | Dezember 2022
Die Klägerin, Sachbearbeiterin in der Buchhaltung der Beklagten, äußerte wiederholt gegenüber Kollegen, dass die Beklagte ihr kündigen wolle. Zudem äußerte sie, dass sie sich von der Beklagten beobachtet fühle und glaube, dass diese eine Software einsetze, um sie zu überwachen. Die Beklagte wies die Anschuldigungen zurück und verlangte deren Unterlassung. Hierauf erstattete die Klägerin Anzeige gegen die Beklagte wegen offensichtlich ungerechtfertigter Beobachtung ihrer Person, woraufhin die Beklagte der Klägerin außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich kündigte. Das von der Staatsanwaltschaft eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt und die Kündigungsschutzklage der Klägerin vom Arbeitsgericht abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Das LAG führte aus, dass die Klägerin mit ihrer Anzeige die ihr obliegende arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten nach § 241 Abs. 2 BGB erheblich verletzt habe. Dies sei ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung. Die Einschaltung der Staatsanwaltschaft durch einen Arbeitnehmer wegen eines vermeintlich strafbaren Verhaltens des Arbeitgebers als Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte stelle zwar im Regelfall noch keine Pflichtverletzung dar, die eine Kündigung rechtfertigen würde. Sollte der Arbeitnehmer dabei jedoch wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben machen, gelte dieser Grundsatz nicht. Vorliegend habe die Klägerin weder in räumlicher, zeitlicher noch in inhaltlicher Hinsicht hinreichende Anhaltspunkte vorgetragen, um ihre Vorwürfe zu untermauern. Da die Haltlosigkeit der Vorwürfe ohne Weiteres erkennbar gewesen sei, sei die Verletzung der Rücksichtnahmepflicht auch schuldhaft und damit der Klägerin vorwerfbar. Eine Abmahnung sei aufgrund des rücksichtslosen Verhaltens der Klägerin entbehrlich gewesen.