Videoüberwachung und Beweisverwertungsverbote
LAG Niedersachsen, Urteil vom 06.07.2022
(Az.: 8 Sa 1150/20)

Ausgabe 51 | Dezember 2022
Nachdem eine Arbeitgeberin ihre Videoüberwachungsaufnahmen und ihr Zeiterfassungssystem ausgewertet hatte, sah sie es als erwiesen an, dass ein Arbeitnehmer an mehreren Tagen die Erbringung seiner Arbeitsleistung lediglich vorgetäuscht hatte. Daher kündigte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Das LAG gab der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage statt, da die behaupteten Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers nicht erwiesen seien und diesbezüglich auch kein hinreichend dringender Verdacht bestehe. Die Arbeitgeberin habe keine Beweise für ihre Behauptungen erbracht, da es ihr verwehrt sei, Daten, die sie mithilfe der elektronischen Anwesenheitserfassung gewonnen hat, in das Verfahren einzuführen. In der Betriebsvereinbarung über die Einführung einer elektronischen Anwesenheitserfassung sei ausdrücklich geregelt, dass keine personenbezogene Auswertung von Daten erfolge. Diese Regelung gelte unmittelbar und zwingend und räume den betroffenen Arbeitnehmern eigene Rechte ein. Videoaufzeichnungen und die angebotenen Aussagen von Zeugen, die diese Aufzeichnungen angesehen und ausgewertet hätten, seien ebenfalls nicht verwertbar, da die Beklagte in einem Betriebskonzept und auf der Beschilderung einer Videoüberwachungsanlage erklärt hatte, Videodateien lediglich 96 Stunden aufzubewahren, wogegen sie verstoßen habe. Zudem greife auch ein allgemeines Beweisverwertungsverbot, da die prozessuale Verwertung der Daten das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers verletze. Denn zur Kontrolle geleisteter Arbeitszeiten sei eine Videoüberwachungsanlage an den Eingangstoren eines Betriebsgeländes in der Regel weder geeignet noch erforderlich. Die Heranziehung, Betrachtung und Auswertung von Videoaufzeichnungen der an den Toreingängen angebrachten Kameras zum Zwecke der Prüfung des Kündigungsvorwurfs stelle eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten von Beschäftigten gemäß § 26 Abs. 1 BDSG dar. Diese sei jedoch weder für die Durchführung oder die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses noch für die Aufdeckung einer Straftat erforderlich gewesen. Das Beweisverwertungsverbot erstrecke sich hierbei auch auf die Vernehmung von Zeugen über die bei der Sichtung der Videoaufzeichnungen gemachten Beobachtungen. Es bleibt abzuwarten, wie das BAG über die anhängige Revision (Az.: 2 AZR 299/22) entscheiden wird.