BAG AKTUELL:
Arbeitnehmereigenschaft von Crowdworkern BAG, Urteil vom 01.12.2020 (Az.: 9 AZR 102/20)

Ausgabe 43 | Dezember 2020
Die Beklagte kontrolliert im Auftrag ihrer Kunden die Präsentation von Markenprodukten im Einzelhandel und an Tankstellen. Die Kontrolltätigkeiten werden von sogenannten Crowdworkern durchgeführt, deren Aufgabe darin besteht, Fotos von der Warenpräsentation anzufertigen und Fragen zur Werbung von Produkten zu beantworten.

Die Beklagte bietet dazu auf der Grundlage einer Basis-Vereinbarung und allgemeiner Geschäftsbedingungen über eine Online-Plattform „Mikrojobs“ an. Über einen persönlichen Account kann jeder Nutzer der Online-Plattform auf bestimmte Verkaufsstellen bezogene Aufträge annehmen, ohne dazu vertraglich verpflichtet zu sein. Übernimmt der Crowdworker einen Auftrag, muss er diesen regelmäßig innerhalb von zwei Stunden nach detaillierten Vorgaben erledigen. Für erledigte Aufträge werden ihm auf seinem Nutzerkonto Erfahrungspunkte gutgeschrieben. Mit der Anzahl erledigter Aufträge erhöht sich das Level im System der Beklagten. Damit verbunden ist die Gestattung der gleichzeitigen Annahme mehrerer Aufträge. In einem Zeitraum von elf Monaten führte der Kläger ca. 3.000 Aufträge für die Beklagte aus, bevor diese mitteilte, ihm keine weiteren Aufträge mehr anzubieten.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger zunächst die Feststellung, dass zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis bestehe. Nach vorsorglicher Kündigung eines etwaig bestehenden Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte erweiterte der Kläger seine Klage um Vergütungsansprüche und einen Kündigungsschutzantrag.

Während Arbeitsgericht und LAG die Klage abwiesen und auch das Vorliegen eines Arbeitsver-hältnisses verneinten, hatte die Revision zumindest in dieser Hinsicht Erfolg. Denn nach dem Urteil des BAG stand der Kläger im Zeitpunkt der vorsorglichen Kündigung in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten.

Die Arbeitnehmereigenschaft hängt nach § § 611a BGB davon ab, dass der Beschäftigte weisungsgebundene, fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit leistet. Für ein Arbeitsverhältnis spreche danach, wenn der Auftraggeber, wie im vorliegenden Fall, die Zusammenarbeit über die von ihm betriebene Online-Plattform so steuert, dass der Auftragnehmer infolge dessen seine Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt nicht frei gestalten kann.

Der Kläger habe in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit in persönlicher Abhängigkeit geleistet. Zwar sei er vertraglich nicht zur Annahme von Angeboten der Beklagten verpflichtet gewesen. Die Organisationsstruktur deren Online-Plattform sei aber darauf ausgerichtet, dass über einen Account angemeldete und eingearbeitete Nutzer kontinuierlich Bündel einfacher, Schritt für Schritt vertraglich vorgegebener Kleinstaufträge annehmen, um diese persönlich zu erledigen. Erst ein mit der Anzahl durchgeführter Aufträge erhöhtes Level ermögliche es den Nutzern der Plattform, gleichzeitig mehrere Aufträge anzunehmen, um diese auf einer Route zu erledigen und damit faktisch einen höheren Stundenlohn zu erzielen. Durch dieses Anreizsystem sei der Kläger dazu veranlasst, in dem Bezirk seines gewöhnlichen Aufenthaltsorts kontinuierlich Kontrolltätigkeiten zu erledigen.