Entgeltfortzahlung nach Selbstverletzung Hessisches LAG, Urteil vom 23.07.2013 (Az.: 4 Sa 617/13) )
Ausgabe 16 | Dezember 2013
Das Hessische Landesarbeitsgericht hatte darüber zu entscheiden, ob Entgeltfortzahlung auch in einem Krankheitsfall zu leisten war, der auf einer Selbstverletzung infolge eines Wutausbruchs beruhte.
Der Kläger war bei der Beklagten als Warenauffüller beschäftigt. Um vor Regen geschützt zu sein, hatte er den für seine Arbeit benutzten Gabelstapler mit einem Plexiglasdach versehen. Als der Sicherheitsbeauftragte der Beklagten anwies, das Dach wieder abzubauen, wurde er so wütend, dass er dreimal mit seiner Faust auf ein in der Nähe abgestelltes Verkaufsschild schlug, wobei er sich die Hand brach. Die Beklagte weigerte sich nachfolgend, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten, weil der Kläger sich seine Verletzung vorsätzlich selbst zugefügt habe.
Der Kläger hatte mit seiner Klage sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem Landesarbeitsgericht Erfolg. Denn § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG schließt zwar den Entgeltfortzahlungsanspruch aus, wenn den Arbeitnehmer an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit „ein Verschulden“ trifft. Allerdings entspricht der Verschuldensbegriff im Entgeltfortzahlungsrecht nicht dem allgemeinen zivilrechtlichen Verschuldensbegriff, der auch mittlere und leichte Fahrlässigkeit umfasst. Er erfordert nach der ständigen Rechtsprechung des BAG vielmehr einen groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen und setzt daher besonders leichtfertiges, grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten gegen sich selbst voraus (vgl. BAG NZA 1987, 452).
Das LAG entschied, dass diese Voraussetzungen hier nicht erfüllt waren, da nicht ersichtlich sei, dass der Kläger sich seine Verletzung bewusst zugegefügt hat. Zwar habe er durchaus damit rechnen müssen, dass er durch die Schläge auf das Schild eine Verletzung riskiert und damit fahrlässig gehandelt. Gegen eine grobe Fahrlässigkeit spreche jedoch, dass er aus Wut und Erregung kurzfristig die Kontrolle über sein Handeln verloren habe. Dies sei sicher leichtfertig, aber nicht derart schuldhaft, dass von besonderer Leichtfertigkeit oder grober Fahrlässigkeit die Rede sein könne. Dieses Verhalten sei zwar nicht zu billigen, aber nach Auffassung des Gerichts menschlich gleichwohl nachvollziehbar, da niemand in der Lage sei, sich jederzeit vollständig im Griff zu haben.